Die Geschichte von Nieda Nullproblemo

Erst vor kurzem wurde eine neue fossile Spezies entdeckt, der die Forscher den Namen Niedatus nullproblemensis gaben. Mittlerweile wurden viele Fakten um Nieda nullproblemo, wie der Volksmund die Tiere nennt, zusammen getragen. Ich möchte hier der Frage nachgehen, um was für eine Lebensform es sich gehandelt hat und warum sie ausgestorben ist.
Erdkrötenmännchen
Erdkrötenmännchen (Bufo bufo).
Foto: Salem-Mimmenhausen, März 2005.
©2005 Herbert Leger.

Auch wenn in jüngster Zeit Belege dafür gefunden wurden, die zeigen, dass er selbst sich anders sah: Niedatus nullproblemensis war ein Herdentier. Nur in der Gruppe waren die Niedas zu besonderen Leistungen fähig. Als Einzelne waren sie weitgehend hilflos. Das zeigt ein Blick auf die einzigartige Anatomie von Niedatus nullproblemensis. Da fallen uns kaum Details auf, die auf besondere körperlich Fähigkeiten schließen ließen. Sogar ein Hund konnte schneller laufen als die Niedas.
Eine Kuriosität gibt es dennoch: Der aufrechte Gang! Die Niedas waren Zweibeiner. Damit hatten sie die Hände frei - und Rückenschmerzen.

Der Ursprung

Niedatus nullproblemensis begann sein irdisches Dasein als Sammler und Jäger in den Steppen und Savannen nahe des heutigen Frankfurt am Main. Dort lebte er von der Natur und mit der Natur. Felszeichnungen aus jener Zeit zeugen jedoch bereits vom unruhigen Geist der Nieda-Bevölkerung: Tiefe Religiosität, der Glaube an Geister, Götter und Dämonen zeigen uns, dass die Niedas jener Tage bemüht waren, sich die Welt und ihre Erscheinungen zu erklären. Die Religion nahm einen immer größeren Raum im Leben der Niedas ein. So wurden offenbar religiöse Schriften gefunden, in denen dazu aufgerufen wurde, sich die Erde Untertan zu machen. Ein Gedanke, der aus der damaligen Zeit der ständigen Bedrohung durch wilde Tiere, Naturgewalten, Hungersnöte und Krankheiten nur zu verständlich erscheint. Gleichzeitig zeigt dieser Leitsatz aber auch das Dilemma in dem Nieda nullproblemo lebte und dem er seinen Gattungsnamen verdankt: Niedatus nullproblemensis war nie am Ziel, nie da. Gleichzeitig sahen die Niedas in ihrem Drang nach Selbstverwirklichung, diesem ewigen Streben nach Glückseeligkeit, Wohlstand, Erfolg und Vollkommenheit kein Problem. Überhaupt war das Problembewusstsein der Niedas im Sinne von Vorsicht und Zurückhaltung nicht ausgeprägt. Die Maxime lautete: Gibt's ein Problem, dann gibt's auch eine Lösung - es lebe die Herausforderung.


Als Ersatz für den ursprünglichen Tauschhandel wurden schon bald Zahlungsmittel eingeführt. Ein Resultat der niedaschen Grundempfindungen: Neid und Missgunst, Besitzstreben, Machtbegeisterung. Keine Leistung ohne Gegenleistung. Alle Versuche, die es ohne Zweifel gab, die Liebe, das Mitgefühl, die Hilfsbereitschaft an die Stelle der Habgier als treibende Kraft in der Gesellschaft zu verankern, schlugen fehl.

Der Gipfel

Auf dem Höhepunkt ihrer Kultur entwickelten die Niedas den Gedanken vom technisch-wissenschaftlichen Fortschritt. Alles schien möglich und nur eine Frage des Forschungsaufwandes zu sein. Unglaublich: Wasser, Luft und Boden wurden als unbegrenzt verfügbar angesehen - und entsprechend behandelt.

Kapitalvermehrung wurde zum Selbstläufer, zum Leitbild der Gemeinschaft. Nur was Gewinn versprach wurde gemacht. "Nur" und "was"! Aktivitäten ohne Aussicht auf Gewinn fanden nicht mehr statt. Moralsiche Fragen zum "Wie" der Gewinnerzielung waren tabu.

Obwohl sich mit der Zeit bei jedem Einzelnen Zweifel an der Zukunftsfähigkeit der aktuellen Lebensweise einstellten, waren die einzelnen Individuen offensichtlich nicht in der Lage, aus den arteigenen Fesseln des ewigen Schneller-Größer-Weiter aus zu brechen, die sie Sachzwänge nannten. So steigerten die Niedas bis zum Schluss das Wirtschaftswachstum, den Energieverbrauch, die Bevölkerung, den Flächenverbrauch... . Eine zunehmende Individuenzahl galt als Grundlage für das Funktionieren eines sozialen Netzes, als Garant einer sicheren Altersversorgung.
Als die Folgen ihres Handelns immer deutlicher zu Tage traten, wurde in weiten Kreisen über mögliche Konsequenzen diskutiert. Tenor: Welche Veränderungen müssen wir gewärtigen und welche Möglichkeiten des Umgangs mit den veränderten Bedingungen haben wir? Vermeidungsstrategien, Situationsumkehr: Fehlanzeige.

Das Ende

Der letzte Irrtum der Niedas war, mit den technischen, kulturellen, und wissenschaftlichen Errungenschaften nunmehr nicht mehr der biologischen Evolution unterworfen zu sein. Andere Lebewesen wurden oft ob ihrer vermeintlichen Primitivität belächelt und als Beweis für die eigene heraus ragende Sonderstellung gesehen. Für uns moderne aufgeklärte Menschen schwer nachvollziehbar: Die Niedas hatten alle Informationen, die sie brauchten, um erkennen zu können, dass ein grundsätzliches Umdenken notwendig war, um das Überleben der eigenen Art zu sichern. Absichtserklärungen, Artenschutzabkommen etc. wurden verabschiedet. Straßenfeger wurden zu Umweltsachverständigen umbenannt. Dem Nachwuchs wurde verboten, Kaulquappen mit nach Hause zu nehmen, um das Austerbeben der Lurche zu verhindern. Gleichzeitig wurden Wälder gerodet, Flüsse begradigt, Verkehrswege gebaut, Gewerbegebiete ausgewiesen. Schutzgebiete wurden eingerichtet - in denen nach Rohstoffen gesucht werden durfte. Der Bevölkerung wurde mit Hinweis auf die zunehmende schädliche Strahlung empfohlen, die Sonne zu meiden. Zur gleichen Zeit wurde der Ausstoß von Abgasen in neue Höhen getrieben. An Zurückhaltung war nicht zu denken. Ein Phänomen, das wir heute nur noch aus dem Kindergarten kennen: "Wenn der das darf, dann darf ich das auch!" und "Du hast mir gar nichts zu sagen".

Am Ende war alles reglementiert. Die verbliebene Natur war weggesperrt und nur noch für Privilegierte oder in organisierten Touren zu erleben. Freiheit war die Freiheit zu arbeiten und zu konsumieren. Die Niedas nannten das Zivilisation, vor deren Verlust sie so viel Angst hatten.

Eine Eigenschaft der Niedas muss ich noch erwähnen: Ihre Führsorge. Ein Nieda half dem anderen - gegen Bezahlung natürlich. In der Bedrohung schlossen sich die Niedas zusammen und halfen einander durch manch schwere Zeit. So fanden sich bestimmte Individuen zu Gruppen zusammen, deren Aufgabe es war, für die Gesundheit in der Population zu sorgen. Sie taten das mit solchem Eifer und unwahrscheinlichem Erfolg, dass z.B. viele erbliche Krankheiten ihren Schrecken verloren - ein Segen für die Betroffenen, ein Desaster für das Genom der Niedas.

Ein letztes Beispiel: Durch Zufall entdeckten die Niedas eine Substanz, mit der sich bakterielle Infektionen vortrefflich behandeln ließen. Andere Infektionskrankheiten wurden durch "Impfung" bekämpft, einer von uns Menschen wieder erfundenen Technik. Durch beide Maßnahmen wurde den Seuchen, die früher verheerend in den Niedabeständen gewütet hatten, der Schrecken genommen. Vorübergehend. Denn bald wurde klar, dass Bakterien gegen die neuen Gifte immun werden konnten. Trotzdem wurden die Mittel in großem Stil an Nutztiere verfüttert und bei Krankheiten eingesetzt, gegen die sie nichts halfen.
Besser lief die Sache zunächst bei der Impfung. Eine echte Erfolgsgeschichte. So mancher Krankheitserreger wurde durch Impfung gar vollständig von der Erde getilgt. Vermutlich, hier gehen die Meinungen der Forscher noch auseinander, versetzte aber gerade die Impfung Nieda Nullproblemo einen der Todesstöße. Offenbar trat in den späten Jahren der Niedakultur eine neue Infektionskrankheit auf, die das Immunsystem der betroffenen Tiere lahm legte und vor allem bei der Kopulation übertragen wurde. In einigen Schriften der Niedas wurde scheinbar darüber diskutiert, dass der Erreger der Krankheit im Zuge einer groß angelegten Impfaktion als unerkannte Verunreinigung den Sprung vom eigentlichen Wirtstier, das zur Herstellung des Impfstoffes benutzt wurde, auf Niedatus nullproblemensis geschafft hat. Weitere Untersuchungen zu diesem aufregenden Befund stehen noch aus.
Nach nur etwa 300.000 Jahren starben die Niedas plötzlich aus. Und mit ihnen unzählige Tier- und Pflanzenarten..

Ausblick

Für heute soll es damit genug sein.

Jetzt nichts wie ab ins Auto und eine Packung Zigaretten geholt. Normalerweise mache ich das zu Fuß. Heute habe ich aber keine Zeit. Um Acht will ich vor der Glotze sitzen und mir die Liveübertragung aus der neuen Allianzarena in München ansehen. Vorher ist noch Rasenmähen angesagt. Ob ich morgen Zeit habe, ihnen mehr von Nieda Nullproblemo zu erzählen, ist eher fraglich. Da habe ich einen Termin beim Internisten. Computertomografie. Ne feine Sache. Völlig schmerzfrei und unschädlich. Ein echter Fortschritt. Hoffentlich dauert die Untersuchung nicht zu lange. Um 14:00 Uhr ist Teammeeting in Düsseldorf, an dem ich unbedingt teilnehmen muss.

Überhaupt: Wenn das mit den Dienstreisen so weiter geht, dann brauchen wir bald einen Zweitwagen. Wenn nur der Sprit nicht so teuer wäre. Wir wohnen nämlich auf dem Land, müssen Sie wissen. Da müssen die Kinder doch häufiger 'mal wohin gefahren werden. Naja, wenn die Umgehungsstraße erst 'mal fertig ist, dann werden wir sehen. Das kann aber noch dauern: In dem aufgelassenen Kieswerk, durch das die Trasse führen soll, haben irgendwelche Spinner seltene Frösche gefunden. Jetzt wird erstmal geklagt. Und solange stehen wir im Stau. Wirklich klasse gelöst. Ich bin ja nun wirklich kein Naturbanause. Aber was zu weit geht, geht zu weit. Wenn man so will, ist die neue Straße Umweltschutz für die Menschen. Überhaupt muss der Mensch bei solchen Entscheidungen viel mehr im Mittelpunkt stehen. Und unsere Kinder. Ist schon was dran, wenn man sagt "Kinder sind unsere Zukunft". Deshalb bin ich auch Mitglied bei Greenpeace. Die tun was gegen den Raubbau an der Natur und zeigen den Konzernen und Staatschefs 'mal, was Ökologie wirklich bedeutet.

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